2010-04-16

Passivitätskompetenz auch für Gastbürger

So oder so ähnlich lässt sich die Einführung zu den Karlsruher Bürger-Diplomen in zwei Worte fassen.

Mit einer Star-Besetzung startet in diesen Tagen die Ausbildung zum Profi-Bürger, und der Zuspruch der meist intellektuell veranlagten Bürger gibt der Sache recht, zumindest war die Einführungsveranstaltung deutlich überbesucht. Dies führte zu zwei Parallel-Vorstellungen, zum einen im gebuchten Saal mit rund 200 Zuhörern und - hier war ich dabei - im Café der Landesbibliothek ganz ohne Verstärkeranlage im intimen Kreis mit etwa 100 Teilnehmern. So wie das Konzept manche von uns zum Schmunzeln bringen mag ging es auch hier heiter zur Sache aber der Ernst der Lage wurde nicht aus den Augen verloren, wie denn auch mit einer Bundesregierung die so handelt als gäbe es kein Morgen.

Gerade zukünftigen Generationen einen guten Start zu verschaffen ist selten das Anliegen einer konservativen Regierung, und selbst Politiker aus anderen Lagern scheuen sich nur allzuoft wenig populäre Dinge überhaupt nur anzusprechen, geschweige denn zur Tagesordnung oder gar Gesetzesvorlage zu machen. Da ist die aktuelle Regierung schon flinker mit frechen Vorstößen die den Bürgerrechten gehörig auf den Fuß treten. Manchmal vom Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe (sic!) ausgebremst, manchmal von den Realitäten moderner Technologien überholt - das werden wir noch schön an der sterbenden Presse miterleben - aber manchmal gelingt es ihnen auch sich mit einer hauchdünnen Mehrheit über den gesunden Menschenverstand hinweg zu setzen und wenn der Bundespräsident seinen Segen gibt sind alle Bürger dem Gefängnis wieder einen Schritt näher. Zu fern ist schon die Zeit als Nachbarn einfach "abgeholt" wurden und man selbst darüber besser kein Wort verlor?

Die Diplomstudienkurse zum Profi-Bürger versprechen neue Wege in der Erwachsenenbildung, gerade im Gesundheitswesen wird der professionelle Patient schon seit einiger Zeit dringendst benötigt um die demografisch bedingte Kostenexplosion in den Griff zu bekommen. So stehen Seite an Seite der Diplom-Patient und der Diplom-Gläubige. Was man nicht wissen kann, darf geglaubt werden. Nicht nur bei den erst jüngst wieder ins Gerede gekommenen Glaubensgemeinschaften liegt vieles im Argen, auch unser Blick auf andere Glaubensgemeinschaften wird nur allzugerne verzerrt, gerne zu Gunsten der einen oder anderen Seite. Die ursprüngliche Funktion des Glaubens für ein Zusammengehörigkeitsgefühl ist oft schon verloren. Gerade in Städten, und hier sei wieder auf die Musterstadt Karlsruhe verwiesen, ist der Glaube an Gott zwar nicht vergessen, die religiösen Rituale finden aber größtenteils unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Eine Fronleichnamsprozession wird zwar von vielen als unangemeldete Demonstration der Katholischen Kirche geduldet - denn es gibt ja einen Tag frei dafür! - aber mitmarschieren möchten die wenigsten, genau wie bei den Montagsdemonstrationen der Arbeitslosen oder den traurigen Heimspielen der Karlsruher-Kicker.

Profi-Bürger werden ist also das große Ziel, dazu gehört selbstverständlich auch der Diplom-Konsument und für die spezielle Form des Kunst-Konsumenten gibt es den Studiengang zum Diplom-Rezipienten. Nach dem grandiosen Auftakt sind wir Bürger nun gespannt, ob es zu den theoretischen Vorlesungen auch praktischen Anschauungsunterricht gibt, denn nur ein Gang ins Krankenhaus, Kaufhaus, in den Tempel der Religionsgemeinschaft oder die Hallen der Künste mag den Augen-öffnenden Vorträgen die Kraft der praktischen Vernunft hinterfüttern um etwas in unserer Gesellschaft der passiven Erdulder zu verändern.

Hier setzt gleich der Kurs zum Diplom-Bürger an, denn wir Bürger werden auf Art und Weise regiert, wie es vornehmlich in königlich-kaiserlichen Herrschaftsgebieten der Fall ist. Die Demokratie, so sie denn staatstragend sei, hat oft nur ein kurzes Gastspiel in der Historie gegeben und so scheint es auch in der Bundesrepublik. Schon 1966 (neunzehnhundertsechsundsechzig!) hat der Philosoph Karl Jaspers - Philosophen denken oft lange vor der Zeit über Dinge nach die zu der jeweiligen Zeit keine rechte Bedeutung gewinnen mögen, aber die wenn die Zeit kommt dringend schon einmal gedacht sein müssen - erkannt, daß die konstitutionelle Konstruktion der Volksrepäsentation in der Bundesrepublik auf eine Parteienoligarchie hinaus läuft, welche dem Volke bestenfalls Verachtung entgegen bringt. Diese Erkenntnis setzt sich nach über 40 Jahren ohne jegliche Besserung mehr und mehr in den Herzen der Bürger fest.

Wie Karnevalsprinzen beim Umzug wirft die Regierung Milliarden von sich, sei es nun für marode Immobilienbuden in Bayern oder heruntergewirtschaftete Staaten in Südeuropa. Was kommt als Nächstes? Mehr und mehr werden unsere Söhne der Republik den Interessen der Amerikaner am Hintern von China geopfert. Wir müssen wirklich mehr Soldaten an den Hindukusch entsenden damit wir sie besser von dort weg bekommen? Welch kranke Logik hat sich das ausgedacht? Sollten unsere regierenden Politiker nicht besser Schilder aufstellen um den Terror um ein trostlose Gegenden am Arsch der Welt nicht mehr zu sehen? Oder ist es doch besser, in Anlehnung an die neuen Karlsruher Studiengänge bald auch eine Ausbildung zum Diplom-Opfer einzurichten, exklusiv für junge Menschen, unsere Zukunft?!?