2010-09-20

Früher.

die meisten von uns wissen es schon, Früher war nicht alles besser. Zum Beispiel haben neue Technologien uns oft großen Fortschritt gebracht, vieles hat sich zum Besseren gewandelt. Früher hatten wir keine Taschentelefone mit denen wir fotografieren, Musik abspielen und den Wetterbericht ansehen konnten. Früher war die Chance als Automobil-Insasse ums Leben zu kommen wesentlich höher. Früher musste man ein Jahreseinkommen für eine Reise nach Amerika investieren, früher konnte man nicht in wenigen Stunden mit der Bahn nach Berlin oder nach Paris fahren, früher war die andere Seite der Welt .. die andere Seite der Welt. Früher gab es Spielsachen auf denen nicht "made in China" stand, früher gab es Joghurt aus einer lokalen Molkerei, Tomaten aus Südeuropa, und Erdbeeren nur im Sommer. Früher waren wir weit weniger der Aufmerksamkeitsökonomie der Massenmedien unterlegen.

Ob der Pfarrer im Nachbarstädchen hinter kleinen Jungs her war bekamen wir früher oft erst gar nicht mit, oder bestenfalls als Gerede der Leute beim Wochenmarkt. Heute wird solch unzüchtiges Tun zu einem bundesweiten Skandal - je nachdem ob die Medien gerade von anderen Dingen .. 40 Milliarden, ja, richtig, MILLIARDEN! wurden Mitte September 2010 nochmal nachgelegt, für die Hypo Real Estate?! - ablenken sollen. So sind wir den aus der Bild'schen Volksseele hoch gestiegenen Ergüssen eines Herrn Sarrazin ausgeliefert wenn wir uns besser um unsere Steuergelder und ihre Ver(sch)wendung durch die sogenannten Volksvertreter sorgen sollten.

Aber früher gaben die Medien uns nur selten die Möglichkeit überhaupt ein wenig hinter die Kulissen zu blicken. Heute können helle Köpfe oder übergangene Neider im Internet über Kungelei, Bestechung und Verschwörung schreiben, mit ihrer Meinung und Sicht das Interesse der die wesentlichen Dinge interessierenden Öffentlichkeit wecken. Diese wesentlichen Nachrichten werden fast möchte man sagen systematisch von einem Lärm verd(r)eckt der aus menschlich zwar interessanten Informationen besteht: Sport, Klatsch und Tratsch über Pop-Sternchen und Fürstenhäuser, gerne auch Katastrophen in möglichst fernen Ländern und nicht alltägliche Verbrechen die auf unser wirkliiches Leben absolut keinen Einfluss haben und vielleicht gerade deshalb so gerne konsumiert werden - egal welches Medium.

Es fällt schwer den "Vermischten" Meldungen nicht auf den Leim zu gehen wenn die Nachrichten aus Politik und Wirtschaft nur schwer oder gar nicht verständlich sind. Die 40 Milliarden Euro für die Hypo Real Estate rufen bei der schweigenden Mehrheit genau die selbe Regung hervor als wenn es 40 Millionen Euro gewesen wären. Gedanken der Gleichgültigkeit denken "wird irgendwo halt eine Turnhalle weniger gebaut, oder das Schwimmbad geschlossen. Ist doch kein echtes Geld, wir können neues drucken, die Hypo geht nicht kaputt" wasauchimmer. Das Geld wird uns eh aus der Tasche gezogen, ob nun für bayrische Immobilienbuden oder für Megaprojekte wie Tunnel unter Stuttgart und Karlsruhe - profitieren tut eine Minderheit denn die Mehrheit zahlt ohne Murren. Früher wäre auch niemand auf die Straße gegangen, früher, als ein militanter Mob die jüdischen Geschäfte in der Stadt zerstörte? Viele denken, das hat schon seinen Sinn wenn die Oberen (unser) Geld (unter sich) verteilen und wir ein wenig Sozialhilfe für Notleidende, ein wenig Bildung für unsere Kinder, und ein wenig Rente für's Ende unseres Lebens bekommen?

Warum ich über "Früher" schreibe? Nun, mehr und mehr erwische ich mich selbst wenn ich Geschichten erzähle von Orten, Menschen, Dingen die ich "früher" erlebt habe - denn es sind nicht fünf Jahre, nicht zehn .. sondern oft mehr als zwanzig, gar 30 und 35 Jahre die ich in meiner Erinnerung zurück gehe, um eigene Geschichten für die nachwachsende Generation zu erzählen.

Nach "Früher" kommt "Damals"?

Und damals, auch daran erinnere ich mich gut, hatten wir als Kinder einige ältere Menschen - Omas und Opas - die damals von "früher" erzählten. In den späten 60ern oder frühen 70ern waren das dann die oft grausigen Erinnerungen aus den Kriegsjahren und manchmal noch weiter zurückliegende Ereignisse, wie die Tage als jeden Tag neue Nullen auf die Geldscheine gedruckt wurden. Wir als geburtenstarke Nachkriegsgeneration kamen damals bei den Geschichten von "früher" oft aus dem Staunen nicht heraus.

Die älteren, sogenannten Halbstarken, in den 50er Jahren Geborenen waren damals schon fast ins "heute" abgeglitten: vor Hippies und Rockern wurden wir von unseren Eltern ausdrücklichst gewarnt. Nun, unser Eltern Angst war unbegründet denn wir wurden Punks und Popper, bevor dann die Generation Golf das Ende der geburtenstarken Jahrgänge einleutete.

"Früher" sagen wir heute und meinen damit unsere 80er Jahre, die Zeiten des Lernens in Schule / Berufsausbildung / Studium, die manche zu wilden Abenteuern ermutigten, wenn nicht daheim dann doch im Urlaub der uns damals (sic!) an die Gestade des Mittelmeeres führte. Jugendreisen mit dem Flieger wurden erst im 21sten Jahrhundert so richtig populär. Heutige Jugend findet sich vermutlich in All-Inklusive-Ghettos in Billiglohnländern wieder. Wir hatten damals Menton an der Côte d'Azur, lebten in direkter Nachbarschaft zum mondänen Monaco-Monte Carlo, zumindest in den Augen unser damals von "früher" erzählenden Großmütter.