2013-06-01

Malle im 21sten Jahrhundert

Während daheim die Heizung bollert - der Juni ist gekommen - haben wir ein paar Gedanken aus dem 17. Bundesland zusammengetragen

In der Nebensaison gibt es durchaus traumhafte Strände mit azurblauem Wasser an denen man sich nicht gegenseitig platt tritt, doch wer auf der Suche nach dem Ursprünglichen von vielen Zeitschriften und Reiseführern hochgelobten Mallorca ist .. hat es schwer. Der gemeine Tourist des 21. Jahrhunderts wird durch drei Schichten Sicherheitsverwahrung von der hier real lebenden Bevölkerung sowie jeglicher Mallorca-Romantik abgeschirmt.

1. Ihre All-Inklusive Hotelanlage. 

Mit integriertem Wellness und Fitness (Indoor-Biking!) ohne das Gelände zu verlassen, nebst Laden für chinesische Souvenirs wo Mallorca draufsteht, und seit über zehn Jahren wird sowieso alles in Euro bezahlt, also immerhin ohne lästige Geldwechslerei wie etwa in der Türkei oder in Nordafrika, wenn man dort mal ausserhalb der Anlage etwas unternehmen wollen würde. Diese Touristen-Konzentrations-Anlagen entstanden meist in den 90er Jahren als sich Mallorca allmählich bewusst wurde welchen Schaden der Bauboom der 70er Jahre angerichtet hatte. Es kleben durchweg vier spanische Sterne am Eingang zu diesen Erlebnisparadiesen. Einen halben Stern wohl für das schnurgebundene Telefon im Zimmer, einen weiteren halben Stern für die Tag und Nacht besetzte Rezeption, und mit den verbleibenden drei Sternen sind wir der Realität schon ein gutes Stück näher. Während das All-Inklusive Volk durch regelmäßige Mahlzeiten - Verpflegung den verbleibenden Sternen entsprechend - und wohlorganisierte Kinderverwahrung (je nach Hotel-Kette in deutsch oder englisch) in Schach gehalten wird, ist das Informationsangebot im hoteleigenen Kabelfernsehen .. beschränkt. Es gibt zwar ARD und ZDF, aber für ein Drittes oder gar ARTE hat es nicht gereicht. Von den Öffentlich-Rechtlichen hat es immerhin KiKa geschafft, denn die Kinderverwahrung wird nur zu bestimmten Zeiten angeboten. Für Österreicher und Schweizer gibt es 3Sat. Das Erwachsenen-Entertainment beschränkt sich auf zweimal SuperRTL und DSF, nebst den obligatorischen spanischen Kanälen. Vermutlich gibt es "technische Gründe" für diese Auswahl. Tageszeitungen habe ich am Pool nur eine Sorte gesehen, die man auch aus drei..vier Metern Entfernung schon ganz gut lesen kann. Einen Vorteil dieser Anlagen möchte ich dann doch nicht verschweigen, hier drinnen werden Sie nicht von afrikanischen Brillen- und Uhrenverkäufern belästig, und auch die chinesischen Massage-Ladies schaffen es nicht an ihren Rücken, hier.

2. Ihr Hotel in einer Touristen-Hochburg. 

Wer nicht von All-Inklusive verwahrtwöhnt wird, dem ist der Aufenthalt in gemeinschaftsfördernden Urlaubsorten angedient. Hier gibt es alles für den zünftigen Ghettobewohner, in vertrauter urbaner Gestalt. Nein, diese Orte wurden nicht im Krieg zerbombt wie das heimelige Hannover, Pforzheim, Oberhausen, aber auch Sheffield, und Swindon, denn immer wieder wird hier mit der englischen Fahne gewedelt. Nach dem Krieg sind hier sind Gier und Korruption der Kern der Urbanisation und es gibt einige Gebäude im Originalzustand (!) aus den frühen siebziger Jahren. Noch ältere Bauten sind oft schon dem Zahn der Zeit zum Opfer gefallen, denn auch im sonnigen Mallorca hält Beton nicht ewig und wenn der Balkon unter dem Liegestuhl wegbröselt, bekommen das rasch die einschlägigen Reiseunternehmen mit und buchen ihre Kontingente woanders. Auf Mallorca haben wir vier richtig heftige Ansammlungen von Touristen-Betonsilos lokalisiert: neben klassischem Ballermann El Arenal gleich beim Flughafen gibt es im Westen das Konglomerat Palma Nova - Santa Ponsa, im Osten das schmalstrandige Cala Millor und ein besuchenswertes skurilles Ensemble von Bausünden in Can Picafort. Wer sich nichts aus 70er Jahre Beton im Originalzustand macht, kann den Blick in der Horizontalen belassen und wird mit buntester Reklame für Supermarket nebst Spirituosen und Strandartikeln belohnt. Dazwischen wird deutsches und/oder englisches Bier ausgeschenkt und die hier allgegenwärtigen senegalesischen Brillen- oder Uhrenverkäufer tuscheln was von "best price" ohne diesen Preis je zu nennen - Geschäftsmodell Geldwäsche? Bei manchen Geschäften an der Strandpromenade - China-Ramsch, Elektroschrott, ja selbst Duty Free gibt es! - scheint dies die einzig mögliche Erklärung zu sein. Preise und Angebot sind an zahlungskräftige Briten und Skandinavier gerichtet, immerhin gibt es in Cala Millor auch einen Lidl in dem sich deutsche Urlauber gleich heimisch fühlen dürfen. Aldi hat es auf Mallorca nicht, dafür den nordspanischen Discounter "Eroski". Neben Shopping und in der Sonne liegen gibt es als Hauptattraktion wohl den Konsum von Alkohol, besonders Skandinavier werden hier mit Schnaps zum Preis von skandinavischem Bier geködert. Am drittgrößten spanischen Flughafen mit seinen rund 80 Gates sahen wir viele Menschen mit gleichfarbigen T-Shirts die eine frohe Freizeitgemeinschaft verheissen: Fussballfreunde, Kegelklub, Reservisten .. Bier-aus-dem-Eimer-Trinker.

3. Die alle Aktivitäten umfassende Suburbane Urlaubslandschaft. 

Das idyllische Mallorca wie es sich unseren Vorfahren in der Mitte des letzten Jahrhunderts dargeboten hat, als sie mit propellerbewehrten Condors die Insel erobert haben .. gibt es nicht mehr. Aus, vorbei. Nix. Wenn Sie was finden sollten dann ist es gespielt, künstlich, extra für Sie inszeniert. Im frühen 21sten Jahrhundert hat der letzte Bauboom der spanischen Geschichte einen breiten Streifen in Küstennähe, aber auch weite Landstriche im Innenland .. zersiedelt. Zum Beispiel das ehemals ländliche Son Servera ist inzwischen mit dem oben erwähnten Cala Millor zusammengewachsen. Golfplätze, Kartbahnen, Aquapark, Schnellstraße ins "urige Fischerdorf" Cala Ratjada. Wo es im letzten Jahrhundert neben der buckeligen Landstraße noch ein wenig Finca-Idylle gegeben haben mag, sind unzählige Parzellen mit Ferienhäuschen entstanden, gerne auch im trocken-heißen Landesinneren in der Nähe der Autobahn. Womit wir bei der dritten Gruppe Urlauber gelandet sind. Sie kommen zwar auch mit AirBerlin (gefühlt mehr Flugzeuge in PMI als in TXL), TUIfly, oder EasyJet, aber fahren dann mit dem Leihwagen zum angemieteten Häuschen. Schon in der Nebensaison bestreiten diese knuddeligen Mietwagen (von Kia Picanto über Polo und Corsa bis Seat Mii) über die Hälfte des Straßenverkehrs im Nordosten und Süden der Insel. Nur in Palma haben die Einheimischen die Oberhand gerne auch mit IB-Kennzeichen denn auf der Nachbarinsel Ibiza gibt es nicht genug Platz für alte Mietwagen. Viele Straßen auf Mallorca sind sehr gut ausgebaut, neben den vorzüglichen Gratis-Autobahnen gibt es einen mautpflichtigen Tunnel nach Soller. So sparen sich die Besucher der provencalisch anmutenden Nordküste einige Kurbelei und die serpentinenreiche Bergstraße ist frei für die zahlreichen Hobby- und Semi-Profi-Radler.

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