2008-05-29

Sozialer Wohnungsbau - in Monaco

Was auf den ersten Blick wie ein Oxymoron aussieht, ist moderne Realität in Orten auf die sich die Immobilienspekulation konzentriert. Das Fürstentum mit seiner arg begrenzten Landesfläche bietet der Spekulation ein ideales Ziel, da die Nachfrage durch obendrein ausgesprochen finanzkräftige Investoren groß, die verfügbaren freien Resourcen sehr knapp und die dadurch erzielbaren Preise und Margen hoch sind. Nach 50 Jahren Bauboom gibt es nun unverkennbar sehr viele Hochhäuser auf dem schmalen Küstenstreifen, aber trotz europäischer Rekord-Bevölkerungsdichte will Monaco nicht so recht aus den Nähten platzen, denn niemals sind alle die hier wohnen auch wirklich gleichzeitig im Lande - selbst nicht in der Woche wenn die Formel 1 ihr Autorennen in den engen Gassen veranstaltet. Die Belegungsrate in den Hotels steigt dann zwar auf 80 bis 100%, aber die meisten Appartmentbauten - und vieles was von spanienverwöhnten Urlaubern als Hotel wahrgenommen wird ist in Wirklichkeit eine mehr oder weniger monströse Aufeinandertürmung von Eigentumswohnungen - stehen mindestens zur Hälfte leer, bzw. machen einen generell unbewohnten Eindruck - je neuer das Gebäude desto unbewohnter wirkt es. Und dies nicht aus Angst vor Dieben, denn die machen bekanntlich einen weiten Bogen um den bestüberwachten Polizeistaat an der Riviera.

Im Sommer 2008 wird ein Großprojekt in Monaco fertig, die Umwandlung des ehemaligen oberirdischen Bahnhofs, der schon vor Jahren tief in den Fels gezogen ist. Die neuen Gebäude alle schmuck im pseudomonegassischen Stil der auch russische Investoren anspricht, mit direktem Zugang zum unterirdischen Bahnhof und Mini-Fußgängerzone in der Mittags die Sonne scheint, damit die Büroangestellten in den Genuss des virtuellen Lebensraumes Cote d'Azur kommen. Die 5 Hektar dieses Projektes sind nun aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein Immobilienspekulation an der Riviera.

25 Hektar im Meer vor Monte Carlo hören sich da schon viel besser an. Das nächste monegassische Jahrhundertprojekt - ein Stadtviertel im Meer - lässt auf Großes hoffen, zumindest was die Größe der Baustelle betrifft. Glücklicherweise wird damit kaum der Wert der existierenden Immobilien geschmälert, da ein Teil Küste "aus ökologischen Gründen" anvisiert ist, der selber schon ins Meer geschüttet das Kongresszentrum, den Japanischen Garten und eine öffentliche Tiefgarage beherbergt. Die Seewasserzufuhr zu den Larvotto-Stränden wird zwar während der Jahre des Baus dieser Pontonstadt leiden, aber diese Strände dienen eher zur Dekoration der sie umgebenden Immobilien und werfen kaum Geld ab.

Der zusammen mit den ökologischen Errungenschaften ebenfalls hochgehaltene Soziale Wohnungsbau für die hier am monegassischen Existenzminimum arbeitende Bevölkerung wird vermutlich in die inneren Zellen des Neubauprojektes eingearbeitet werden und bedeutet Wohnungen ohne viel natürliches Tageslicht, mit "günstiger Verkehrsanbindung" sprich an der Zufahrtsstraße zum Tunnel der die schwimmende Stadt an das restliche Monaco anbinden wird. Ob Touristen dorthin gelassen werden ist noch zweifelhaft; falls sich ein Projekt mit Promenade am Meer durchsetzt, gäbe es von dort aus einen sehenswerten Überblick auf das Fürstentum nebst umgebendes Frankreich. Aber wenn wie schon im seit den 80er Jahren ins Meer geschütteten Wohnviertel Fontvielle die Promenade dem Profit der Immobilienbranche zum Opfer fällt, gibt es wohl einen weiteren weissen Fleck auf der touristischen Landkarte Monacos.

Ob die hochgesteckten Ziele des Mamutprojektes wirklich erreicht werden, steht dann noch in den Sternen, aber vollendete Tatsachen sind den herrschenden Mächten meist lieber als zögerliche Änderungen weil sich zwischenzeitliche Einwände als begründet und sinnvoll erweisen. Die seit 2001 im Bau befindliche Erweiterung des Herkuleshafens ist verglichen mit der Gesamtgröße des Fürstentums schon eindrucksvoll, bleibt aber in einigen Punkten hinter den vollmundigen Versprechungen der ursprünglichen Projektplanung zurück, insbesondere was die Kommerzialisierung der Quais betrifft: statt Luxus-Shopping für Kreuzfahrer gibt es nur öde Betonwüste, auf der auch schon mal Container zwischengelagert werden.

In anderen Orten der französischen oder italienischen Riviera findet Sozialer Wohnungsbau weitab der Küste in versteckten Tälern, neben ehemaligen Sondermülldeponien oder staubigen Zementwerken statt, da einzig in solchen Lagen der Wohnraum für wirklich hier lebende und abhängig beschäftigte Bevölkerung noch bezahlbar ist. Das moderne Leben an der Küste erinnert an die dunklen Tage im Mittelalter, als sich die Ligurier und Provencalen aus Angst vor plündernden, mordenenden Sarazenen, Kreuzfahrern und Piraten auf Trutzburgen und Hügelssiedlungen fernab der Küste zurückzogen, um an friedlichen Tagen ihre sorgsam versteckten Äcker zu bestellen.

Nun kommt heutzutage zwar niemand wirklich körperlich zu Schaden, aber der Entzug des zentralen Lebensraumes der ursprünglichen Bevölkerung - und dies sind zum Teil vor einigen Generationen zugewanderte Italiener, Algerien-Franzosen und Engländer - aufgrund von Immobilienspekulation kann mit der Vertreibung aufgrund von Kriegsereignissen verglichen werden. Zunächst werden die Innenstädte von Geschäften des täglichen Konsums befreit, in Menton fand dies zwischen 1990 und 2007 statt, selbst der beliebte Delikatessenladen am Ende der Avenue Felix Faure wurde durch eine Boutique ersetzt. Nun reiht sich in der Fußgängerzone ein Handyladen an Schuhgeschäft and Pseudonobel-Boutique und der Bereich um die Altstadt ist vollständig mit Andenkenläden vollgekleistert. Zusammen mit der Entvölkerung der besseren Wohngegenden - in einem Spekulationsobjekt zu wohnen heißt dessen Wert zu mindern und ist damit kontraproduktiv - geht eine Vergreisung die gerade in den Kleinstädten der Riviera besonders ins Gewicht fällt.

Selbst die Besucher der Küste der Spekulanten sind von diesem Vorgang nicht verschont, sei dies an einem Beispiel illustriert: Ich besuche seit Mitte der 80er Jahre den Campingplatz St Michel in Menton, und bis in die späten 90er Jahre fanden sich hier auch in der Nebensaison junge Leute, Familien mit Kindern, wie man dies von einem sommerlichen Camping erwartet. Seit der zweite Campingplatz in Menton einem Immobilienprojekt gewichen ist, bleibt nur noch dieser Camping oder die Jugendherberge für junge Reisende ohne großes Budget. Aber die Kinder der Generation Ballermann zieht es längst in die All-Inklusive-Ghettos in der Türkei oder am Schwarzen Meer. In Menton finden sich nun größtenteils Mitglieder der nicht mehr arbeitenden Bevölkerung, speziell auf dem Campingplatz mit manchmal überdimensionierten Wohnmobilen denn die Zufahrtsstraße ist für Dreiachser nicht geeignet und es ist ein Gaudi für alle Camper wenn jemand die enge Bergstraße hinauf kriecht der die entsprechenden Schilder übersehen hat.

Aber Spass beiseite, findige Stadtväter sehen sicher dieses Problem, wie die Entvölkung der Küste aufhalten, gar reversibel machen? Etwas weiter westlich im Department Alpes Maritimes, wurde die Küstenstraße zwischen Villeneuve-Loubet und Nizza deutlich entschleunigt, von 3 auf 2 Spuren zurück gebaut, ein Streifen für mutige Fahrradfahrer eingearbeitet, die Gastronomie auf der Uferpromenade ausgeweitet, einige Mini-Tunnel durch Rond-Points ersetzt. Obendrein weist die Beschilderung den unkundigen Durchgangsverkehr auf die gebührenpflichtige Autobahn, die entsprechend verstopft zum Verweilen einlädt, allerdings verpesten die wenig entrußten Dieselautos nun die Wohnviertel der hier arbeiten Bevölkerung, statt die leerstehenden Immobilienprojekte an der Küste.

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